17. August 2015

Everybody’s Gone to the Rapture

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Yaughton, Shropshire, England. 6:37 Uhr, 6. Juni 1984.

Inmitten der malerischen Landschaft von Shropshire steht das Dorf Yaughton verlassen. Auf dem Spielplatz liegt vergessenes Spielzeug herum und der Wind bläst Quarantänebroschüren über den stillen Friedhof. Auf einer Farm raschelt die Ernte, um die sich keiner kümmert. Die Vögel liegen dort, wo sie runtergefallen sind.

Hier stimmt etwas nicht.

Bei Everybody’s Gone to the Rapture handelt es sich um ein Spiel der ganz besonderen Art. Unser Charakter, den wir aus der First-Person-Perspektive steuern, ist schweigsam und erlebt als Zuschauer die Geschichte eines kleinen Dorfes.

Wir starten in der Nähe eines Observatoriums, wo wir nach einigen Schritten ein knisterndes Radio vernehmen. Seltsame Stimmen spuken im Radio herum, Wäsche hängt bewegungslos an einer Leine und in den Fernsehern der verlassenen Häuser des Geisterdorfes laufen Kanäle ohne Empfang. Das alles lässt uns nichts Gutes Vermuten. Wir, unser Protagonist, sind übrig geblieben, um das Geheimnis einer Apokalypse zu entschlüsseln.

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Gameplay

In der Steuerung kommen wir minimalistisch mit vier Varianten aus: Zwei Analogsticks zum Laufen und Umsehen, den X-Button um mit Gegenständen zu interagieren und die Bewegungsfunktion des Playstation 4 Controllers. Das war’s.

Gerade die Bewegungsfunktion ist sehr interessant. Sie eröffnet uns einige Hinweise, was in Yaughton passiert sein könnte. Während wir auf Erkundungstour sind finden wir hier und da kleine leuchtende Bälle. Wenn wir in Ihre Nähe kommen, fliegen sie entweder weg und wir laufen ihnen nach um sie zu fangen oder bleiben stehen um uns etwas mitzuteilen indem wir den Controller neigen und wie eine Art Radiosender einstellen. Wenn man das Gamepad nach links oder rechts kippt, den richtigen Winkel findet und es hält, nehmen die Leuchtbälle eine menschliche Silhouette an und erzählen einen Flashback, was an den Fundorten passiert ist, bevor die Welt unterging.

Bei diese Funktion hat es eine Weile gedauert, bis ich den Sinn dahinter verstanden habe. Letzten Endes fand ich dies aber ein schönes und wichtiges Spielelement.

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Erzählkunst auf höchstem Niveau

Wie kann man eine postapokalytische Geschichte transportieren, wenn alle Lebewesen weg sind? Der Entwickler The Chinese Room hat in Sachen Synchronsprecher und Musik richtig aufgetrumpft. Die Monotonie wird gebrochen, indem wir eine richtig gute Soundkulisse geboten bekommen. Das Graß unter unseren Füßen, der Wind der weht, Schritte, ein knarrendes Hoftor.

In den sogenannten Flashbacks werden die oft dramatischen Szenen mit ansteigender Musik (vom Metro Voices und London Voices Chor) unterlegt, die noch eine Minute nach den Dialogen langsam ausklingt. Psychologisch gesehen ist dies eine gute Variante, etwas länger im Kopf zu behalten.

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One-Four, Zero-Four, Zero-Eight…

Wir verbringen in Everybody’s Gone to the Rapture unsere Zeit damit Hinweise zu finden und alles zu untersuchen um eine Geschichte zusammen zu setzen. Wir gehen in Häuser, testen ob Türen offen oder Verschlossen sind und erkunden Hinterhöfe und Gärten. Ich versuchte jeden Schnipsel der Story einzufangen und probierte jede Tür aus, jedoch lassen sich vielleicht nur 30 Prozent dieser öffnen. Das kann schon manchmal zu Frustmomenten führen.

Ist es noch ein Spiel?

Everybody’s Gone to the Rapture kommt ohne Action, kinoreifen Zwischensequenzen, oder sagenhaften Gameplay aus. Wenn wir Everybody’s Gone to the Rapture streng bewerten ist es eigentlich kein Spiel. Eher ein interaktiver Film. Ein Film der uns durch das Erkunden und Entdecken durch die liebevoll gestaltete Landschaft etwas erzählen, eine Geschichte transportieren, möchte.

Everybody’s Gone to the Rapture behandelt das Thema der Apokalypse auf eine völlig neue Art. Die Welt ist zwar untergegangen, aber diesmal auf eine andere Art und Weise ohne Zombies, Explosionen, zerstörte Gebäude oder strahlenverseuchte Überlebende, die uns survivalmäßig an den Kragen wollen. Everybody’s Gone to the Rapture zeigt uns, dass der Tod eben nicht immer laut, qualvoll und imposant ist. Sondern, dass alles auch sehr ruhig und friedlich, dennoch nicht weniger dramatisch, spürbar von Statten gehen kann.

Mit dem Begriff Rapture (Entrückung) bezeichnet man in einem mythologischen oder biblischen Zusammenhang. Das Phänomen, dass eine Person leibhaftig aus der irdisch-konkreten Erscheinungswelt in eine himmlische Sphäre versetzt wird. Im Alten und im Neuen Testament werden mehrere dieser Ereignisse beschrieben. Im übertragenen Sinn wird der Begriff auch für einen Zustand „geistiger Ferne“, wie etwa im Rausch oder dem Traum, der Meditation oder der Trance verwendet.

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Tiefsinniger als man denkt

Everybody’s Gone to the Rapture ist ein Spiel über die Menschheit. Menschliche Fehler. Menschliches Versagen. Tragödien. Steit und Ärger, Wut und Liebe, Glaube und Hoffnung.

Es ist erstaunlich wieviel menschliches und emotionales man vermittelt bekommt, ja sogar nachempfindet und fühlt, obwohl man nie eine Menschenseele zu Gesicht bekommt. Man muss nur der Typ, die Art von Spieler, sein sich auf diese Dinge einzulassen. Ja dann wird man das Spiel verstehen und vielleicht auch lieben.

Der versteckte Sprint-Button

Nach Release des Spiels klagten viele Spieler über eine zu langsame Fortbewegungsgeschwindigkeit. Der Entwickler The Chinese Room meldet sich zu Wort und erklärt, wie das Sprinten in Everybody’s Gone to the Rapture funktioniert: Ihr müsst beim Laufen die R2-Taste gedrückt halten. Erst nach wenigen Sekunden baut der Charakter Geschwindigkeit auf und beginnt mit dem Sprint. The Chinese Room erklärte ebenfalls, dass es in der Test-Version von Everybody’s Gone to the Rapture eine automatische Sprintfunktion gab. Diese wurde allerdings in der finalen Version des Spiels entfernt. Viele Spieler wussten nicht, dass man die Sprintfunktion nutzen könnte, da die Funktion in der Übersicht der Steuerung dem Spieler nicht erklärt wurde.

Trivia

Während der Entwicklung von Dear Esther wollte das Team neue interaktive Elemente unterbringen. Das funktionierte in Dear Esther nicht und somit wurde ein neues Spiel, Everybody’s Gone to the Rapture, geboren. Das Spiel bleibt, anders als bei Dear Esther und Amnesia, welche auch für den PC heraus kamen, Playstation exklusiv. Das Team dachte, dass sie über Crowd funding nicht genug einnehmen, so entschieden sie sich für eine Partnerschaft mit Sony.

Everybody’s Gone to the Rapture basiert auf der Cryengine und ist derzeit nur als Download für die Playstation 4 erhältlich. Der Preis im Playstation Store liegt bei rund 20 Euro.

https://www.youtube.com/watch?v=8z8qv6qhhAY

Fazit

Böse Zungen betiteln Everybody’s Gone to the Rapture den „Walking Simulator“. Okay, an dieser Stelle muss ich erwähnen, dass ich auch erst spät bemerkte, dass man sprinten kann. Und man verbringt wirklich viel Zeit damit in der Welt umher zu laufen und es ist wirklich frustrierend, wenn man sich im Spiel in gefühlter Zeitlupe fortbewegen muss.

Klar wäre eine Springen-Taste vielleicht an dieser Stelle erwähnt auch nicht schlecht gewesen. Warum um einen Zaun herum laufen, wenn man auch darüber klettern könnte? Und wenn ich schon auf allerhöchsten Niveau meckere, warum können wir nicht zoomen und Gegenstände als 3D-Objekte untersuchen?

Ich denke, Everybody’s Gone to the Rapture ist ein Spiel, welches nicht Jedem gefällt. Man sollte sich bewusst sein, das das Spiel, nicht nur ein Spiel ist, sondern vielmehr ein interaktiver Film der eine poetische Geschichte zwischen wundervoller Oldschool Science-Fiction und bedrückender Fallout-Thematik transportieren möchte. Man taucht in Everybody’s Gone to the Rapture in ein erzählerisches Spiel ein, welches daraus besteht die Welt zu erkunden und bestenfalls nur vier Aktionen zur Auswahl hat: Laufen und Sprinten, die Aktionstaste zum z.B. Türen öffnen oder Radios anschalten, die Motion-Steuerung d.h. den Controller neigen. Bei Everybody’s Gone to the Rapture muss man Geduld mitbringen und auf Details achten und schon ist man mit dem Spiel verschlungen und möchte der Geschichte, die das Spiel zu erzählen hat, auf den Grund gehen.

Everybody’s Gone to the Rapture hat ein interessantes Storytelling-Konzept, eine mysteriöse Hintergrundgeschichte und ein authenitisches 80er Jahre Setting, sowie sehr gute Sprecher und eine ausgezeichnete sowie stimmige musikalische Untermalung.

Letztlich macht Everybody’s Gone to the Rapture genug Spaß, um das Spiel weiterempfehlen zu können. Wer seine Erwartungen nicht zu hoch schraubt und das Spiel so nimmt wie es ist, als ein kleines und feines Indie-Experiment, kommt auf seine Kosten. Die Reisezeit beträgt zirka 4 bis 6 Stunden und eignet sich somit als gutes Sonntagsspiel. Everybody’s Gone to the Rapture ist ein Spiel, das seine Zeit wert ist.

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18. August 2015 3
5 Comments
  • Enton 7 Jahren ago

    Krasse Grafik!! Hab aber nur eine Xbox One.

    • Frau Zimmy 7 Jahren ago

      Das ist tatsächlich eine Schande, dass du dann nicht in den Genuss kommst. Wurde „leider“ von Sony gepublished und darum denke ich, dass das Spiel exklusiv bleibt. Schade! 🙁

  • Hans-Georg 9 Jahren ago

    Ich habe mir das Spiel wegen dem Test hier geolt und bereue es keine Sekunde. Es fesselt mich total. Sehr schön geschrieben. Auf deine Empfehlung kann man bauen.

  • Mützi 9 Jahren ago

    Wenn es das mal in einem Angebot gibt, werde ich es mir holen. Bin mir nicht sicher, ob das was für mich ist.
    Aber ich finde es cool, dass die Funktionen vom Controller mal wieder mehr ausgenutzt worden sind.

    Aber mir könnte es zu ruhig sein. Mit „Dear Esther“ konnte ich beispielsweise nichts anfangen.

    • Frau Zimmy 9 Jahren ago

      Nee meine Liebe, dann ist es leider echt nichts für dich! :/ Darfst es aber gerne mal bei mir testen.

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