Man kann einfach nicht Vampyr erwähnen, ohne gleichzeitig auf die Entwickler aufmerksam zu machen. Vampyr ist von den Machern Dontnod Entertainment, genau die, die erfolgreich und bekannt mit dem Spiel Life Is Strange geworden sind. So habe ich auch die Messlatte ganz nach oben gesetzt, als ich das erste Mal auf der gamescom 2016 in einem Pressetermin von Vampyr erfahren habe. Das Jahr drauf, auf der gamescom 2017, hat unser Team sogar ein bisschen Gameplaymaterial zu Gesicht bekommen und ich war Feuer und Flamme. Vampyr ist eines meiner Most Wanted Titel 2018, warum ich nach dem ausgiebigen Test des Endprodukts doch enttäuscht zurückgelassen worden bin, erfahrt Ihr jetzt.

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Geschichte

Wir schreiben das Jahr 1918 und schlüpfen in die Rolle des Dr. Jonathan Reid, welcher gerade erst ein Vampir geworden ist und mit seinen neuen Kräften hadert. Doktor und Vampir, geht das überhaupt? In London macht sich die spanische Grippe breit, alles ist dunkel und trist, die Bewohner skeptisch und voller Angst. Angst vor der Seuche, die sich breit macht und auch Angst vor einer völlig neuen Plage- die Vampire, die London und deren Einwohner heimsuchten. Dr. Jonathan Reid muss sich entscheiden: Retten wir London indem wir ein Mittel gegen die Seuche finden und die Einwohner von Krankheiten wie zum Beispiel Blutarmut, Bronchitis und Erschöpfung heilen, oder geben wir uns unserem inneren Verlangen hin, manipulieren wir die Bürger, um an den köstlichen Lebenssaft Blut zu kommen? Gut oder böse, wir haben das Schicksal in der Hand. Wie entscheidet Ihr Euch?

Setting und Grafik

Das zerrüttete London nach dem ersten Weltkrieg ist auf den ersten Blick gut in Szene gesetzt, dennoch hat man bei längeren Spielen das Gefühl, dass sich vieles zu sehr ähnelt, dass nicht alle Häuser begehbar sind und an vielen Stellen einfach wirklich zu viel Dunkelheit Vampyr_20180604215431herrscht. Ich war zum Beispiel in einem Gebäude mit Treppenhaus, welches so dunkel war, dass ich weder Treppe noch Wand gesehen habe und durch gutes Glück mit dem Herumrühren des Sticks den Ausgang gefunden habe. Leider hat der Entwickler es nicht geschafft, ein lebendiges Szenario zu schaffen und die spätviktorianische Metropole akkurat nachzubilden. Klar, wir sprechen hier von einem kleinen Studio welches sicherlich nicht so viel Budget hat, aber kommen wir zu einen Punkt, welcher mich wirklich ärgerte. Bugs und Freezes. Während meines Langzeittests ist mir meine PS4 sehr oft abgestürzt. Manchmal ruckelten die Kämpfe vor sich hin und viel zu oft wurden die Gebietsabschnitte durch einen langen Ladebalken unterbrochen. Zudem gibt es bis dato noch viel zu viele Grafikbugs, die mir zwar ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern, aber für das Endprodukt nicht hätten sein dürfen. Hoffen wir auf einen Patch.

Gut umgesetzt ist aber auf jeden Fall der historische Hintergrund von London. Es gibt eine geheime Organisation, die es sogar damals schon gab und viele mysteriöse Geschichten und Ereignisse. Okkultismus und auch Vampirjäger sowie gruselige Wesen sind an der Tagesordnung, welche von jeder Seite Macht ausüben. Vampyr lebt durch das Geschichtenerzählen der Bürger. Nicht jede Geschichte ist spannend, jedoch authentisch erzählt und im Großen und Ganzen macht es dennoch Spaß diverse Mysterien aufzudecken.

Auch unser Doktor verändert sein Aussehen, wenn wir uns gegen den Blutddurst wehren und möglichst Niemanden auswählen unser Leckerbissen zu sein. Seine Haut wird weiß wie Pergament, die Adern treten hervor, die Augen sind rot und die Pupillen milchig. Dr. Reid weigert sich, sträubt sich Jemandem das Leben zu nehmen. Selbst eine Ratte aussaugen widert ihn an. Wie wir uns entscheiden, ist jedem Spieler selbst überlassen.

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Vampirkräfte

Unser Dr. Reid verdient Erfahrungspunkte um seine Vampirkräfte und Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Dies ist auch bitter nötig, denn in den Straßen von London lauert überall Gefahr. Zum einen sind dort wilde Ghoule und zum anderen haben es Vampirjäger auf uns abgesehen. Am leichtesten verdienen wir Erfahrungspunkte, wenn wir Bürger aussaugen. Je nach Gesundheitszustand verändert sich auch die Qualität und somit auch die zu gewinnenden Erfahrungspunkte. Natürlich könnten wir, wenn wir das wollten, wahllos Leute aussaugen, das würde aber dem Spiel den Reiz nehmen. Vampyr möchte, dass Ihr die Leute kennenlernt, ihre Geschichten anhört, eventuelle Aufgaben (wo man geringe EP verdient) für sie erledigt und sie rettet. Sprich, Vampyr möchte, dass Ihr Euch schuldig fühlt, wenn Ihr Euren Vampirsinnen freien Lauf lasst um Euren Blutdurst zu stillen.

Wählt Eure Opfer mit bedacht, die Entscheidungen haben Konsequenzen. Jeder Charakter gehört zu verschiedenen sozialen Kreisen. Töten wir Jemanden, wird der entsprechende Bereich dir feindlich gegenüberstehen, außerdem werden entsprechende Nebenmissionen direkt gestrichen. Übrigens habt Ihr nur einen Saveslot, das soll heißen, dass Vampyr permanent speichert und sich Eure Entscheidungen merkt. Wählt Ihr ein Ziel, so ist die darauf folgende Konsequenz permanent. Fun Fact: Man kann das Spiel auch durchspielen, ohne eine einzige Person umbringen zu müssen. Dass das nicht gerade die leichteste Spielweise ist, sollte einem klar sein- möchte man jedoch alle verschiedenen Enden durchspielen, so solltet Ihr eine neue Geschichte anfangen.

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Gameplay

Der Dialogpart von Vampyr wird mit einer Art Dialogbaum gesteuert. Klar gibt es hier und da ein paar interessante Geschichten, aber zum größten Teil sind die Unterhaltungen, sorry, stinklangweilig. Die Geschichte wird schmächtig erzählt, nie gibt es einen wirklichen Hauptgegner, den es zu besiegen gilt, oftmals laufe ich ziellos durch London und nehme jede Mission so an, wie sie kommt. Manchmal ärgere ich mich auch über bestimmte Hauptquests, die ich aus Mangel an Erfahrungspunkten und somit lascher Vampirkräften nicht zu Ende bringen kann, da bestimmte Gegner overpowered sind.

Apropos laufen. Unser Doktor Reid kann übrigens nur Laufen und Sprinten, hat diverse Angriffstasten für Waffen und Vampirkräfte, aber nein, Springen kann er nicht. Ok, das klingt jetzt nach Nutpicking, aber wo bleibt die Authentizität, wenn wir einen mächtigen Vampir spielen, der sich zwar an bestimmten Stellen teleportieren, jedoch keine Kante hoch springen kann? Es ist eines der vielen kleinen Details, die es schwierig gemacht haben, vollständig in die Welt von Vampyr einzutauchen.
Vampyr_20180601220552Wollen wir beispielsweise schnell von Punkt A nach Punkt B kommen, kommen wir in bestimmten Bezirken und Gassen sicherlich nicht an Gegnern vorbei. Wir sind zwar in Besitz von Vampirkräfen, wie zum Beispiel, dass wir uns unbemerkt im Schatten bewegen können, oder aber über bestimmte vom Spiel ausgezeichnete Balkone bewegen dürfen, trotzdem sind die meisten Kämpfe unausweichlich, da viele Abschnitte von London durch Tore verbunden sind, die wir, Achtung, erst öffnen können, wenn die Gegnertypen davor erledigt wurden.

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Kampfsystem

Die Kämpfe fühlen sich wie ein minderwertiges Dishonored an mit einer erbärmlichen Präzision und schlampiger Mechanik. Wir schnetzeln, beißen, schießen und verwenden, wenn es die Ausdauer zulässt unsere Vampirfähigkeiten. Ich hätte zwar gerne auch über dieses Manko hinweg geschaut, hätten mich die Kämpfe nicht so oft in Rage gebracht, dass ich am liebsten meinen Controller in den Fernseher geworfen hätte. Die kleineren Gegnertypen hauen wir noch recht einfach weg, die größeren und erst recht die Bosskämpfe bringen einem die Zornesröte ins Gesicht und das liegt nicht am eigenen spielerischen Nichtkönnen, sondern daran, dass so viele Gegner overpowered sind. Übermächtige Gegner mit einem Lebensbalken über den ganzen Bildschirm, wo man paar Treffer kassiert und sofort tot ist… Ladescreen… Kampf von vorne. Gefühlt so 15 Mal eine halbe Stunde lang ab der Mitte des Spiels. No me gusta.

Fazit

Ich bin schon von Vampyr enttäuscht. Enttäuscht, weil das Spiel so viel Potenzial und richtig gute Ideen hat, die es leider nicht ausschöpft und umsetzt. Dontnod sind eigentlich dafür bekannt gute Geschichten zu schreiben und Emotionen zu vermitteln, leider ließen die etwas langatmigen Gespräche mit den Bewohnern Londons kalt zurück. Für mich gibt es wirklich keine Person, die in irgendeiner Form für mich ein  Sympathieträger ist. Anfangs habe ich versucht ein guter Kerl zu sein, London zu retten, jedoch nervten mich einige Haupt- sowie Nebenmissionen, auch verschuldet durch langweilige und nervige Gegner, die auch nach dem Besiegen immer wieder im Abschnitt eines Areals auftraten, die Protagonisten und das zähe Aufleveln so sehr, dass ich irgendwann zum Bad Guy mutierte und dachte, jetzt lösche ich sie alle aus, lebe zwar mit den Konsequenzen, dass mich Niemand mag und alle jagen, dafür habe ich aber auch binnen kurzer Zeit mehr Erfahrungspunkte, die ich in schöne Vampirkräfte eintauschen kann und mir deutlich mehr Spielspaß vermitteln.

Ich gebe zu, Vampyr hat meine Geduld etwas zu sehr getestet. Die Ladebildschirme hatten eine Dauer von ungefähr fünfzig bis sechzig Sekunden und bekamen mich ziemlich schnell satt. Vampyr fühlt sich an wie ein Spiel aus einer anderen Zeit. Nein, ich meine nicht, weil es in London 1918 spielt, sondern eher von einer anderen Konsolengeneration. Ich möchte auch noch kurz erwähnen, dass das Spiel in englischer Sprachausgabe ist, mit optional deutschen Untertiteln.
Trotzdem: Ich rege mich über meine eigene Enttäuschung über meine Erwartung in das Spiel sehr auf, dennoch gab es Spielphasen, wo ich Vampyr tatsächlich mochte und meine Toleranzschwelle all dem Negativen gegenüber gut steigern konnte und tatsächlich Spaß hatte. Unser Doktor Reid kommt authentisch rüber, das innere Hadern mit seinen Vampirkräften, seine persönliche Geschichte und der ständige Drang seinen Blutdurst zu stillen, ja, das war schon gut gemacht.

Mir hat auch gefallen, dass jeder Charakter im Zusammenhang mit anderen Personen und Kreisen verknüpft ist. Somit ist jede Entscheidung die man trifft eine dauerhafte, die sich durch das ganze Spiel zieht.

Kurzum: Vampyr fehlt der Antrieb. Auch mehr Stealthfähigkeiten hätten dem Spiel gut getan um das Gameplay zu verbessern. Wir sind im Spiel nicht motiviert genug um uns Zeit für die Geschichten der Londoner Bürger zu nehmen. Es gibt nichts, was uns vorantreibt und die Charaktere im Spiel sind allesamt unsympathisch, sodass dem Spieler die Empathie fehlt um den Einzelschicksalen Emotion beizumessen.  Die Kämpfe sind klobig, die Gegnertypen arm an Variation, die Ladezeiten unter aller Kanone. Die technischen Erfahrungen nehmen die Freude, die man eigentlich an dem Spiel, trotz schöner Atmosphäre, haben könnte.

Wertung

7

Fazit

7.0/10
  Review
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6. Juni 2018 0