14. September 2015

Cartel Land

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Jeder kennt sie, diese Tage, an denen es einem einfach viel zu gut geht. Die Sonne scheint, man ist frisch verknallt und der Chef hat allen früher frei gegeben, weil sich seine Tochter grad verlobt hat und eigentlich hat man nur Bock auf eine verschärfte Dosis Not und Elend, um mal wieder so richtig schlecht drauf zu kommen. Zum Glück gibt es Matthew Heinemann und seine neue Doku Cartel Land, die einem aktuell im finsteren Kinosaal die Fröhlichkeit ausprügelt.

Ganz ehrlich; noch nie hab ich eine Kritik so ewig vor mir hergeschoben, wie diese. De facto stand ich kurz davor zu sagen „Sorry, ich passe“. Was sollte ich darüber schreiben und wem diesen Film empfehlen? Eigentlich weiss ich das immer noch nicht, aber nachdem alles erledigt wurde, was man irgendwie vorziehen konnte, muss ich wohl ich in den sauren Apfel beissen.

Im Kern des Ganzen steht Dr. Jose Mireles und die von ihm gegründete Bürgerwehr der „Autodefensas“, die den mexikanischen Drogenkartellen den schwerbewaffneten Kampf ansagen. Was anfangs noch nach einem Durchmarsch der Gerechtigkeit aussieht, stösst allerdings schnell auf Widerstand der Regierung und Verrat in den eigenen Reihen.184

Etwas weniger im Mittelpunkt steht desweiteren der US-Amerikaner Tim Foley, Gründer und Anführer der „Arizona Border Recon“, welcher sich zum Auftrag gemacht hat, illegale Einwanderer an der Grenze persönlich dingfest zu machen.

Nachdem sich alle, die etwas zu sagen haben, kurz vorstellen durften, bekommt man auch recht schnell die volle Packung menschliches Leid, egal ob aus erster Hand bei blutigen Schusswechseln um vom Kartell besetzte Landstriche, oder durch Berichte der Opfer darüber, in wieviele Einzelteile ihre Angehörigen zerlegt wurden. Klingt drastisch?! Ist es auch! Cartel Land hält bewusst drauf und schafft es grade deshalb beim Zuschauer ein fast dauerhaftes Unwohlsein auszulösen. Mehr als einmal musste ich das Gesicht verziehn im Unglauben, dass Menschen Tatsächlich zu dem dort dokumentierten fähig sind.

Leider stolpert man bisweilen über eine zu cineastische Inszenierung. Klar ist das im Gesamten unterhaltsamer, aber manche Szenen wirkten nahezu gescripted oder derart überzogen, dass sie schon unglaubwürdig erscheinen, was beinahe den Eindruck einer Mockumentary vermittelt und statt Nähe eher Distanz zum Gesehenen aufbaut.

Ein dickes Lob muss man Heinemann und seinem Kamerakollegen Matt Porwoll dafür aussprechen, dass sie auch in hitzigen Situationen immer klare Bilder liefern, was bei dem Gedanken, man könnte stets in den Lauf eines durchgeladenen Gewehrs blicken, schon einiges an Respekt abnötigt.

Musik wird dokuüblich spärlich, aber dafür umso effektiver eingesetzt. Vorallem am Anfang, wenn Mireles in frisch befreiten Dörfern auf Rekrutensuche für seine Sache geht, schlägt man zu seinen glühenden Reden ziemlich heroische Töne an, was schon einen Schauer verursacht.

Fazit

Fand ich Cartel Land nun gut? Ganz klares ja. Auch wenn man über ein paar kleine filmische Patzer strauchelt; in Anbetracht der aktuellen Lage in Deutschland schadet es sicher nicht, einen Eindruck davon zu bekommen, aus welchen Verhältnissen Immigranten zu flüchten Versuchen und warum sie mit Nichts ausser dem, was sie bei sich tragen, ihr Land verlassen. Jedem Dokufan und den meisten anderen Kinogängern mit starkem Magen und einem gewissen Maß an sozialem Bewusstsein und Empathie sollte Cartel Land zumindest einen Blick wert sein, sofern man damit klar kommt, sich danach den Rest des Tages als Elendstourist zu fühlen.

(Vielen Dank an Nicky Ramone)

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14. Oktober 2015 0
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