4. September 2014

Irgendwas mit Sexismus…

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Vor kurzem saß ich in einem Zug auf dem Weg nach Wiesbaden und wurde unfreiwillig Zeuge eines Dialogs zwischen zwei Frauen, vermutlich Anfang 20. Normalerweise bin ich kein Typ, der fremde Gespräche belauscht, aber in einem gewissen Kontext, war es für mich interessant. Obwohl die beiden einen gepflegten Eindruck machten, war die Ausdrucksweise eher prollig. Die Sätze wurden regelmäßig mit „weißt du“ beendet und auch die Aussprache von „ch“ wich einem durchgängigen „sch“. Themengebiete waren unter anderem die Abneigung gegenüber diversen Personen, die sich im Freundeskreis befinden, Schmuck und Kleidung, aber auch die Schwierigkeit mit langen Fingernägeln auf einem Notebook zu tippen. Mir ging es in der Situation nicht darum diese Frauen in einer derart kurzen Beobachtung zu bewerten, sondern um den Begriff von Weiblichkeit. Wie definiert man eigentlich Weiblichkeit?

Die Welt der Videospiele ist gespalten! Seit der E3-Präsentation der X-Box One und der Playstation 4 habe ich nicht mehr eine derartige Konfliktsituation gespürt, und dabei sie ist noch nicht einmal neu. Die Feministin Anita Sarkeesian kehrte am 25. August 2014 mit dem sechsten Video der Reihe Tropes Vs. Women in Videogames zurück und riss erneut ein Loch in das Weltbild der Gaming-Community. Die am 04. Juli 2012 per Kickstarter finanzierte Videoreihe brachte 160.000 Dollar ein und beschäftigt sich seitdem ausgiebig mit der Darstellung von Frauen in Videospielen, die laut Sarkeesian alles andere als positiv ist. Ich möchte in diesem Artikel jedoch weder über die Videos und die dort verwendeten Argumente reden, noch darüber ob sie für mich funktionieren. In einem Punkt sollten wir uns im Kollektiv einig sein: Das Thema Sexismus bzw. der Dialog darüber ist nicht nur wichtig, sondern absolut notwendig und in unserer zivilisierten Gesellschaft immer noch ein Problem. Der Ernst dieser Thematik spiegelt sich ebenso in der Gegenwehr bezogen auf die Videos wieder. Mit dem Feststellen von Sexismus entsteht gleichzeitig ein harter Vorwurf, und wer das nicht auf sich sitzen lassen möchte, der versucht Sarkeesians Thesen zu widerlegen. Jedoch lässt sich die Frage ob und wie Videospiele diesbezüglich zur Rechenschaft gezogen werden können, nicht innerhalb eines einzigen Artikels beantworten. Das Thema ist viel zu komplex, zieht sich durch alle Medien und marktwirtschaftliche Zielgruppenorientierung und umfasst letztendlich das individuelle Denken und Wahrnehmungsvermögen jedes Einzelnen. Deswegen ist der entscheidende Faktor und das Resultat dieser Videoreihe, dass die Menschen eben darüber reden und es dabei den Anschein hat, als backe sich jeder seine eigene Problematik und die dazugehörige Problemlösung, die er mir anderen im Internet teilt, und die gerade durch das Facettenreichtum sehr schwierig zu diskutieren ist, auch weil sich die Parteien mit einer sehr verurteilenden Hysterie gegenüberstehen.

Bricht man die Konfliktsituation auf das Wesentliche herunter, besteht zunächst eine einfache Beschwerde, die man ernst nehmen kann, um letztendlich abzuwägen, ob sie gerechtfertigt ist, wie sich die eigene Wahrnehmung in diesem Kontext verhält und ob Änderungsbedarf besteht. Der Wunsch etwas Bestehendes grundlegend zu verändern ist für mich sehr interessant, weil es den Konsumenten letztendlich in die Rolle des Mitbestimmers befördert. Ein gutes Beispiel war Mass Effect 3 im Jahre 2012. Dessen Ende war der Community ein derartiges Dorn im Auge, so dass eine erweiterte Form der Erzählung per kostenlosem Update nachgereicht wurde. Betrachtet man Videospiele, Filme oder sonstige narrative- und gestaltungstechnische Medien als Kunst, hinter der eine gewisse Absicht des Erstellers steckt, so ist es fragwürdig diese auf Wunsch manipulieren zu wollen. Die Anforderung, dass ein Produkt möglichst vielen Menschen gefallen muss, ist ein grundlegendes Problem der Unterhaltungsindustrie, weil sie die Gewinnmaximierung vor die eigene Überzeugung des Erstellers stellt. Letztendlich haben wir als Konsumenten immer die Wahl, basierend auf Geschmack, Anspruch und Wahrnehmung, und sind nicht davon befreit selbst mit gründlichem Abwägen dieser Komponenten auf die Schnauze zu fallen. Nun muss man im Falle des Vorwurfs von Sexismus unterscheiden, ob es sich hierbei lediglich um ein Missfallen oder um eine geschlechtsspezifische Diffamierung handelt, die einer ethischen Grundlage beiwohnt. Handelt es sich um Letzteres muss untersucht werden, ob es sich um ein allgemeingültiges oder ein individuelles Problem handelt. Handelt es sich um ein individuelles Problem mündet der Wunsch einer grundlegenden Änderung der Darstellung von Frauen in eine Bevormundung aller anderen. Wie man es dreht und wendet, wie sehr man auch darüber diskutiert wer nun Recht- und Unrecht hat, es kann hier zu keiner absoluten Gleichheit kommen, vor allem in Anbetracht der Unterscheidung zwischen biologischem- und sozialem Geschlecht und dem wirtschaftliche Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Was letztendlich erreicht werden kann, ist eine Inspiration, die für eine Annährung bzw. eine Erweiterung sorgt, um neue Konzepte zu gewährleisten, die letztendlich alle Geschmäcker ausreichend bedienen. Trotzdem halte ich es für wichtig, das Identifikationsdefizit ernst zu nehmen, dessen Problematik aber genauer zu untersuchen.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Welt innerhalb eines Spiels für uns als authentisch empfunden wird. Werden wir durch statische Störfaktoren, welche die Atmosphäre als unsinnig deklarieren, beeinflusst, mindert dies das „Mittendrin“-Gefühl. Wie so oft ist auch dieses Phänomen eine ganz individuelle Wahrnehmung. So stören sich einige Gamer z.B. an den riesigen Stiefeln des Gears Of War-Universums oder am Widerspruch eines pazifistischen Nathan Drake gegenüber dem abschlachten hunderter Männer. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass bestimmte Begebenheiten innerhalb eines Videospiels durchaus eine temporäre Störung darstellen können, ohne die Motivation des Spielens abzuschwächen. Videospiele sind mittlerweile nicht mehr so konzipiert, dass der Spieler alle Inhalte positiv wahrnimmt. So kann die Abneigung gegenüber übersexualisierten Inhalten, wie Prostituierten und Stripperinnen auch die Atmosphäre eines Ortes beeinflussen und ein Unbehagen erzeugen. Videospiele sind und sollten auch öfter ein Spiegelbild gesellschaftlicher Probleme sein, die wir zurecht als unangenehm empfinden. Eine halbnackte Amazone, deren Winterrüstung weder vor der Kälte, noch vor Gefahren schützt passt jedoch absolut in das Prinzip einer grundlegenden Störung der Authentizität. Die Amazone ist hierbei jedoch ein leicht zu definierendes Extrembeispiel. Es wird also ein passendes Frauenbild benötigt. Innerhalb meiner Diskussionen auf Youtube oder Facebook, auch in Kombination mit der Argumentation der Videoreihe von Anita Sarkeesian, habe ich immer wieder festgestellt, dass die Definition des Soll-Zustands einer Frau innerhalb eines Videospiels mehr als schwammig ist. Daher kommen wir zur Ausgangsfrage: Wie definiert sich Weiblichkeit, nicht nur in Bezug auf das Aussehen, sondern auch auf Verhaltensweisen. Die Unterscheidung von Optik und Charakter ist aus meiner Sicht nicht zu unterschätzen, denn je nach Genre und Zeitepoche verändert sich auch die Priorisierung der Darstellung. Einem 8-Bit-Pixelhaufen wird selten eine umfassende Charakterisierung zuteil, und sofern man Beyond: Two Souls und The Last Of Us als Paradebeispiel komplexer Charakterisierungen anführt, so betrifft das lediglich die Spiele mit überdurchschnittlicher cineastischer und erzählerischer Inszenierung, die in der Spielebranche definitiv kein Muss ist. Videospiele, deren Fokus auf Gameplay liegt, obliegen meist einer flachen Charakterdefinition, um lediglich eine Rahmenhandlung zu rechtfertigen, was für beide Geschlechter zutrifft. Dass es in der Vergangenheit bereits zahlreiche weibliche Protagonisten gegeben hat, wird in dieser Diskussion entweder abgewertet und ignoriert, obwohl sie zumindest einen Richtwert für die Entwicklung angeben könnten. Die knappe Kleidung ist hierbei das meistbenutzte Gegenargument, ohne das Abwägen der Grenze von der Ästhetisierung des weiblichen Körpers zur Sexualisierung. Ich wünsche mir Anregungen für zufriedenstellende Konzepte oder existierende Beispiele, da ich nicht der Überzeugung bin, dass eine allgemeingültige Definition gerade bezogen auf die Geschlechterrolle überhaupt möglich ist.

Im Konsum von storybasierten Videospielen wird regelmäßig von einer Identifikation mit dem Protagonisten gesprochen, was ebenfalls zur Authentizität des Spielgefühls beiträgt. Es ist wichtig, dass wir uns in dessen Verhalten hineinversetzen können, um letztendlich eine emotionale Schnittstelle zu den Handlungssträngen im Spiel zu haben. Wichtig ist, dass diese Voraussetzung nur auf einzelne, ausgewählte Schlüsselfaktoren zutrifft, denn komplett gleichsetzen kann sich der Spieler in der Regel nicht. Der Spieler beobachtet lediglich einen vorgefertigten Protagonisten und bedient sich bestimmter Werkzeuge, um in dessen Sinne zu handeln. Der Aspekt der Geschlechteridentifizierung, also die Prüfung ob das Verhalten der Spielfigur ihrem Geschlecht entspricht, ist mir in diesem Kontext sehr suspekt. Würde ich diese für mein Spielverhalten berücksichtigen, müsste ich ja Eigenschaften meiner Person untersuchen und prüfen, ob ich diese als „männlich“ deklarieren kann, um sie letztendlich mit den Verhaltensweisen von Spielfiguren abzugleichen, um zu prüfen ob diese ebenfalls „männlich“ und dahingehend für mich authentisch sind. Bei dieser Überlegung muss ich letztendlich zu dem Schluss kommen, dass mein persönlicher Charakter durchaus komplexer als der einer Videospielfigur ist. Wenn ich also meine Männlichkeit mit deren von Spielfiguren vergleiche, könnte ich sie ebenfalls mit der Männlichkeit von Arbeitskollegen, Freunden und Menschen in meiner Umgebung vergleichen und gegebenenfalls deren Männlichkeit in Frage stellen, was durchaus diffamierend wäre. Diese Herangehensweise funktioniert natürlich ebenso für Frauen. Sofern sich also keine allgemeingültige Definition des Verhaltens eines Geschlechts finden lässt, ist diese Diskussion zum Scheitern verurteilt.
Eine Sache, die mich ebenfalls bedrückt, ist die Pauschalisierung der Videospielkultur. Wie bereits erwähnt trägt die Videoreihe von Frau Sarkeesian den Namen Tropes Vs. Women in Videogames. Jetzt sollte es natürlich jedem, der sich halbwegs mit dem Medium auskennt, klar sein, dass der Begriff „Videogames“ kein allgemeingültiger Repräsentant des aufgezeigten Problems ist und auch innerhalb der Argumentation nicht näher definiert werden muss. Tropes Vs. Women in some Videogames klingt ja auch doof. Dennoch habe ich den Eindruck, dass das Medium allgemein durch die selektive Darstellung abgewertet wurde. Zugegeben: Es fühlt sich komisch an eine Fülle von Fallbeispielen ausgesetzt zu sein, die Sarkeesians Thesen bestätigen, jedoch blicken wir auf eine 40 Jahre alte Kultur zurück, die sich in viele Facetten aufgespaltet hat, und daher betreffen die Thesen natürlich nur die Spiele, die sie bestätigen. So versetzen mich vereinzelte Aufschreie, bzw. Forderungen nach einem alternativen, anspruchsvollen Spielangebot, abseits von Sexualisierung und Waffengewalt in eine gewisse Bedrückung. Ich habe 2010 meinen ersten Artikel im Internet veröffentlicht und seit Mitte 2011 stelle ich Games in Videoform auf Youtube vor. Hochgerechnet kann ich mittlerweile mehr als 200 Vorstellungen aufweisen, die seit Beginn das Ziel hatten, Videospiele in ihrer allumfassenden Vielschichtigkeit zu präsentieren. Das Angebot ist seit Jahrzehnten vorhanden, aber offensichtlich scheint es kaum einer in seinem  Umfang zu kennen, noch zu nutzen, weder als Spieler noch in der Argumentation. Das ist deshalb so tragisch, da gerade die Vielzahl an kreativen Möglichkeiten des Mediums abseits der Blockbuster-Produktionen für ein Anerkennen als Kunst- und Kulturgut extrem wichtig sind und wir eine Reduzierung auf die genannten Genres nicht gebrauchen können. In diesem Kontext wundern mich ebenso die schnelle Verbreitung und die plötzliche Wichtigkeit der Sexismusdebatte. Offensichtlich hat hier die Schweigespirale des Internets zugeschlagen und sich eine Frustration über Jahre hinweg aufgestaut, die sich plötzlich in einer großen Aufmerksamkeit entlädt. Für mich kam die Thematisierung trotzdem unerwartet, gerade auch weil sich Videospiele über die Jahre immer weiter und auch geschlechterübergreifend verbreiteten und die Feststellung von sexistischen Inhalten eigentlich das Gegenteil bewirken sollte. Es wäre irrational sich mit einem Unterhaltungsmedium zu beschäftigen, welches als diffamierend empfunden wird. Irgendeinen positiven Aspekt muss es in den letzten Jahren ja gegeben haben. Wie man sich auch seine Ansicht,  Befinden und Argumentation zurechtlegt, eine negative Pauschalisierung halte ich grundsätzlich für unwahr, unfair und bedrohlich für die Kultur.

Die Sexismusdebatte wird uns noch weiter beschäftigen, aber solange nicht differenziert wird und Informationen unreflektiert übernommen werden, werden wir zu keinem Ergebnis kommen und uns weiter voneinander abspalten. Letztendlich wird jedoch die Branche selbst ihre eigenen Entscheidungen treffen. Einen Zuspruch bekam Anita Sarkeesian bereits in diesem Jahr in Form des Ambassador Awards 2014, den sie im Zuge der diesjährigen Game Developers Choice Awards bekam. Wir werden sehen wie sich diese Akzeptanz auf die Zukunft der Industrie auswirken wird.

Vielen Dank an Gastautor Fabian Anderer (Rainer Schauder) für diese Kolumne!

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