28. April 2014

Gezwungene Abwechslung

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Am 14. Mai 2010 erschien ein bis dato sehr vielversprechendes Projekt des Entwicklerteams „Remedy“, den Erfindern hinter „Max Payne“. „Alan Wake“ sollte nach einer langjährigen Entwicklungszeit und vielen Verschiebungen erneut zeigen was „Remedy“ zu leisten vermag und auch in Punkto Atmosphäre und Storytelling ein neues Level erreichen. Über Geschichten in Videospielen kann man sich definitiv streiten, jedoch fand ich das Serienkonzept und die Handlung an sich sehr fesselnd und atmosphärisch, und diese Ansicht teile ich mit vielen anderen Gamern weltweit. Nur eine Sache brach dem Spiel letztendlich in den Bewertungen das Genick: Das Gameplay war zu eintönig. Auch heute noch gilt: Ein Film ist ein Film, ein Spiel ist ein Spiel, und wenn die interaktive Komponente nicht überzeugt, bleiben nur gute Cutscenes, die mittels gähnender und nerviger Langeweile miteinander verbunden werden. Woher kommt jedoch diese Langeweile? Wurden die Spiele über die Jahre wirklich eintönig und langweilig, während die Technik weiterhin voranschritt? Betrachtet man die Ansprüche an ein Videospiel Ende der 80er Jahre, so erkennt man deutliche Unterschiede in Spieldauer und Anspruch, im Vergleich zur heutigen Zeit. Abwechslung gab es damals jedenfalls nicht. „Space Invaders“ aus dem Jahre 1978 besitzt nicht einmal Scrolling. In einer festen Bildeinstellung schießt der Spieler auf Aliens und verteidigt somit seine Stadt vor der nahenden Zerstörung. Das Spiel war damals trotzdem so beliebt, dass sogar 100-Yen-Münzen im ganzen Land knapp wurden. Mit den Kollegen dieser Arcade-Ära verhält es sich identisch. Die Prämisse des damaligen Spielens war der Spaß am reinen Gameplay. Es gab kaum Story und kein festgelegtes Ende, sondern die reine Highscore-Jagd und den Willen in den Fähigkeiten zu wachsen, um beim nächsten Mal mit einer Münze länger durchzuhalten. Heute sind wir verwöhnt. Videospiele werden mit „Unterhaltung“ assoziiert. Sie sind ein Entertainmentprodukt, welches sogar zur Entspannung verwendet wird, als Rückzugspunkt vom Berufsalltag, fern ab von einer spielerischen Herausforderung basierend auf einem bestimmten Regelwerk. Wollen wir überhaupt noch schweres Spielen? Ist die Konsequenz aus leichtem Spielen eben diese Langeweile? Wie kann man diese umgehen?

(Vorerst muss ich betonen, dass man die Ansprüche an ein Videospiel natürlich nicht komplett pauschalisieren kann, und dass sich mein Fokus innerhalb dieses Artikels an Coregamer und entsprechende Singleplayer-Spielen orientiert.) Es ist grundsätzlich festzustellen, dass sich Videospiele seit der 8-Bit-Ära in Punkto Anspruch und Spieldauer antiproportional entwickelt haben. Viele der damaligen Titel konnten theoretisch in wenigen Stunden beendet werden. Dementsprechend hoch war der Schwierigkeitsgrad, um den Spieler daran zu hindern. Einmal Sterben kostete ein Leben, und waren alle Leben verbraucht konnte man ggf. ein Continue in Anspruch nehmen. Waren wiederrum alle Continues verbraucht, beendete sich das Spiel natürlich zur vollkommenen Frustration des Spielers. Für den nächsten Versuch das Spiel zu beenden, musste es komplett von vorne begonnen werden. In Zeiten in denen Spiele aufgrund rar gesäter Checkpoints negativ bewertet werden und der Spieler das wiederholte Absolvieren längerer Passagen als lästig empfindet, ist ein derartiger Zustand undenkbar. Was war also die Motivation ein Spiel trotz dieses Rückschlags erneut fortzusetzen? Das Gameplay! Eine Steuerung zu verinnerlichen ist natürlich einfacher, je minimalistischer diese ist. Ein Steuerkreuz und zwei Tasten sind überschaubar, selbsterklärend und liefern eine Konzentrationsgrundlage für das Wesentliche. Die Herausforderung bestand darin besser zu werden, die Spielfigur zu Höchstleistungen zu treiben, auf Gefahren intuitiv zu reagieren und Patterns auswendig zu lernen. Das Konzept funktionierte.

In einem schleichenden Prozess entwickelten sich gewisse Videospiele in den letzten Jahren in eine neue Richtung. Videospiele waren schon immer ein Hybrid aus bereits bestehenden Unterhaltungsmedien. Sie vereinen Narration, Musik, Cineastik und fügen noch eine interaktive Komponente hinzu. Das Streben nach Realismus und Cineastik in Grafik und Design wirkten sich derart auf den Spielfluss aus, so dass das reine Gameplay heute nicht mehr im Vordergrund steht, sondern der Fokus immer öfter auf der Hintergrundgeschichte in Kombination mit dessen Inszenierung und dem Treffen von Entscheidungen zur Laufzeit liegt. Das sage ich übrigens komplett wertfrei, da ich ebenfalls zu den Menschen gehöre, die sich nach der getanen Arbeit nicht auf die Couch setzen, um die Anspannung durch ein Videospiel auf einem konstanten Level zu halten. Natürlich möchte man sich auch mal berieseln lassen, die Beine hochlegen und sich von einem Videospiel auf eine Reise fernab des Alltags schicken lassen. Dieser Luxus hat jedoch eine entscheidende Konsequenz: Die Spieldauer hat sich erheblich vervielfacht. In der Regel dauert z.B. ein storybasierendes Actionspiel im Durchschnitt ca. 8 Stunden. Während Open-World oder Rollenspiele mit einer Spieldauer von sogar 30 bis über 100 Stunden auf den Entdeckungsdrang und Charakterentwicklung als Motivationsrichtlinie setzen, müssen sich diverse Spiele anderweitig weiterhelfen. In den letzten Jahren muss ich immer wieder feststellen, dass Videospiele Komponenten aufweisen, die so gar nicht in das Gesamtkonzept passen, aber dennoch eingebaut werden, um den Spieler längerfristig bei Laune zu halten. Einen Deathmatch-Modus in ein Survival-Horror-Game einzubauen, ist hierbei nur die Spitze des Eisbergs. Ich möchte diese Veränderungen in drei Abschnitte aufteilen:

Minispiele

Oft treten sie in Form von unerwarteten, simplen Aufgaben oder Reaktionstests auf, von denen man behaupten könnte, sie wären geschaffen, um den Spieler aufzuwecken. Ganz vorne mit dabei sind Quicktime-Events, die sich seit einigen Jahren – zumindest unter Entwicklern – an großer Beliebtheit erfreuen. Der Vorteil von QTEs ist, dass dadurch brachiale Actionsequenzen dargestellt werden können, die dem Spieler bei dessen Betrachten trotzdem die Passivität nehmen. Heute sind QTEs verpönt, verbraucht, einfallslos und sie unterbrechen meistens den Spielfluss auf eine sehr lästige Art und Weise. Ebenso haben sie sich mittlerweile selbst zu einem lästigen Tastenhämmern reduziert, die zu häufig eingesetzt werden, z.B. beim Öffnen einer Truhe bzw. Tür oder dem Betätigen eines Mechanismus. Mit der Einführung der Bewegungssteuerung, übertrug sich dieses Prinzip auf hektische Handbewegungen. Jeder kennt diese Momente in denen man sich von einem Gegner oder einer Situation „freischütteln“ muss. Die grundsätzlich logische Idee intuitive und natürlich-imitierende Bewegungen für die Steuerung eines Videospiels zu verwenden wird so ad absurdum geführt. Das gleiche Problem besitzen ebenfalls Touchpads. Sie sind vorhanden, also müssen sie verwendet werden, egal wie absurd oder unpassend es in ein Spiel eingebunden wird. Ob nun ebenfalls für QTEs oder zum Abwischen von Oberflächen, die ersten beiden Male besitzt es noch einen gewissen Charme, danach wird es in der Regel langweilig. Reaktionstests sind jedoch nicht die einzigen Minispiele, die im modernen Gamedesign ihre Verwendung finden. In einigen Spielen sind regelmäßige Knobelaufgaben Teil des grundsätzlichen Gameplays, z.B. beim Hacken von Maschinen oder dem Knacken von Schlössern. Anhand des eigenen Empfindens merkt man als Spieler selbst ganz gut, ob ein Minispiel gerade passt oder überflüssig ist. Grundsätzlich bin ich dieser Form von Abwechslung nicht abgeneigt, wenn sie das Gameplay auffrischen und nicht tragen.

Genrewechsel

Es ist bekannt, dass sich ein Videospiel je nach Genre an unterschiedlichen Motivationstriggern bedient, die bestimmen, ob es lediglich eine Abwechslung für Zwischendurch oder eine längerfristige Beschäftigung ist. Wie bereits erwähnt haben Rollenspiele On- sowie Offline einen großen Anteil an mehrstündigem Spielen, da die übergroßen Spielwelten und die komplexe Charaktergestaltung in Kombination mit vielen Aufgaben und unterschiedlichen Handlungssträngen einen hohen Suchtfaktor erzeugen. Brandaktuell sind auch Crafting-Systeme, also das Sammeln von Materialien aus denen neue Ausrüstungsgegenstände und Items hergestellt werden können. Es ist ein weitaus größerer Aufwand ein seltenes Material zu finden, lohnt sich aber in Hinsicht auf ein neues Item, welches eine große Hilfe im fortlaufenden Spiel sein könnte. Die Prämisse mit seinen Erfolgen während des Spielens in Form von Erfahrungspunkten oder Ausrüstungsgegenständen ausbezahlt zu werden, stachelt die Spieler an mehr Zeit in ihr Spiel zu investieren. Es ist nicht abzustreiten, dass diese Elemente immer wieder in Spielen verwendet werden, die oberflächlich nicht dafür vorgesehen sind. Erfüllt ein Actionspiel, welches mit simplem Gameplay, schnellem Pacing und cineastischen Scripts ausgestattet ist, immer noch seinen Zweck wenn eine offene Welt und somit die Möglichkeit zu ruhigem Erforschen gegeben ist? Mir fällt es immer wieder auf, dass Spiele oft konsequent ihren Ursprung und ihren Zweck verweigern und sich in einem Puzzle aus unterschiedlichen – teilweise aus erfolgreichen Spielen entnommenen – Komponenten wiederfinden. Dieses Genregemisch beißt sich glücklicherweise nicht, da es sich auf das Grundsätzliche Gameplay auswirkt, jedoch stelle ich mir diesbezüglich oft die Frage, ob Spiele zwangsläufig komplex sein müssen, um Spaß zu machen. Verheerender sind hierbei Spielelemente, die ein Genre nicht ergänzen, sondern es temporär aushebeln. Man könnte z.B. annehmen, dass eine Stealth-Sequenz nichts in einem Actionspiel zu suchen hat, vor allem wenn der gespielte Charakter im sonstigen Verlauf die Position einer überlegenen Figur übernimmt. Es gibt Spiele, die den sonst üblichen Spielfluss dadurch unterbrechen, weil die Spielmechanik plötzlich geändert wird und sich der Spieler in einer Herausforderung wiederfindet, die er aktuell gar nicht bewältigen möchte.

Fleißaufgaben

Fleißaufgaben erklären sich von selbst. Sie haben keinen Einfluss auf die Story, den Charakter oder das Gameplay, aber trotzdem sind sie verfügbar. Sie werden eingebaut, um das Spiel zu strecken und den Spieler weiterhin bei Laune zu halten. Dazu gehört z.B. das vorgegebene Sammeln von Materialien, das Überbringen von Botschaften, inkl. der Überbringung dessen Antwort oder das Töten einer gewissen Anzahl von Gegnern. Diese Form des Gamedesigns existiert überwiegend in Open-World-Spielen, extrem fällt es mir jedoch bei AAA-Titeln von UbiSoft auf. Hier ist stets eine große Landkarte im Inventar vorhanden, die ganz viele kleine Symbole enthält, die Auskunft darüber geben, welche Aufgabe wo zu absolvieren ist. Die Aufgabe an sich bleibt also nicht alleiniger Teil des Spiels, sondern das Auffinden und Erreichen des entsprechenden Ortes auf der Karte gehört dazu. Grundsätzlich spricht nichts gegen diese Form von Sidequests, wenn sie optional sind. Werde ich jedoch dazu gezwungen eine mehrstündige Quest zu absolvieren, um mich bei der Stange zu halten und den weiteren Verlauf der Story zurückzuhalten, so bildet sich zumindest bei mir eine gewisse Frustration.

In meinen Augen schaffen es heute nur noch sehr wenige Action-Spiele mit dem damaligen Gamedesign der 90er Jahre mitzuhalten. Wer wirklich wert auf ein akribisch ausgereiftes Gameplay wert legt, muss sich in der Regel auf Competitive-Gaming beschränken. Dort steht das Spielen an sich im Vordergrund und der Spieler reift in seinen Fähigkeiten das Spiel zu bedienen, anstatt in der Investition von Zeit. Aber ich möchte ehrlich sein. Ich habe in meinem aktuellen Lebensabschnitt weder die Zeit noch die Geduld mich in ein bestimmtes Spiel einzuarbeiten. Ich bin Fan von Spielen, die mir eine schöne Geschichte erzählen und ich dazwischen etwas daddeln kann. Ich möchte in diesem Artikel auch nicht grundsätzlich meckern. Ich bin ein großer Fan der Videospielkunst und ebenfalls Befürworter der Entwicklung, jedoch sollte man bei einigen Spielen bedenken, dass „weniger“ oftmals „mehr“ ist.

Vielen Dank an Gastautor Fabian Anderer (Rainer Schauder) für diese Kolumne!

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